Neue Gefahr durch Pockenviren

Heidelberg - Seit dreieinhalb Jahrzehnten gelten die Pocken als ausgemerzt. Wie Spektrum der Wissenschaft in seiner aktuellen Ausgabe berichtet, besteht nun die Gefahr, dass sich durch genetische Anpassungen von nahen Verwandten des Pockenvirus – der Affen- und Kuhpockenviren – an den Menschen eine neue weltweite Seuche entwickelt.

Denn seit die früher üblichen flächendeckenden Pockenschutzimpfungen eingestellt wurden, hat der Großteil der Bevölkerung in den zurückliegenden Jahren nicht nur die Immunität gegen die Pocken verloren, sondern auch gegen die anderen Pockenvirenarten, die früher durch die Impfungen mit in Schach gehalten wurden. Gleichzeitig kommen Menschen zunehmend in Kontakt mit den Wirtstieren dieser Erreger. Die menschlichen Erkrankungsfälle von Affen- und Kuhpocken sind in den letzten Jahrzehnten denn auch deutlich angestiegen.

Niemand kann vorhersagen, wie sich Affen- und Kuhpocken mit der Zeit verändern werden, doch die Virologen befürchten Mutationen, die ihnen eine einfachere Übertragung von Mensch zu Mensch ermöglichen. Vor allem die Affenpocken könnten sich zu einer globalen Seuche entwickeln. Virologen nennen sie den "kleinen Cousin" der Pocken, unter anderem weil sich das Krankheitsbild klinisch nicht unterscheiden lässt.

Hintergrund: Vor rund zehntausend Jahren dürften die Pocken zum ersten Mal aufgetreten sein. Das krankheitserregende Virus, später Variola getauft, greift zuerst die Schleimhäute von Nase oder Hals an und breitet sich dann im Körper aus, bis ein typischer Ausschlag auf der Haut entsteht, gefolgt von Bläschen voller Viren. Bis zu einem Drittel der infizierten Menschen starben. Allein während des zwanzigsten Jahrhunderts raffte die Seuche mehr als 300 Millionen Männer, Frauen und Kinder dahin.

Gegen Ende der 1970er Jahre war die tödliche Plage jedoch ausgerottet – dank Massenimpfungen, die Millionen Menschen schützten und nur eine kleine Narbe am Oberarm zurückließen. Da Variola lediglich den Menschen als Wirt nutzt, konnte sich das Virus nirgendwo in der Natur mehr verstecken und starb aus.

Danach hörten auch bald die routinemäßigen Pockenschutzimpfungen auf. So ist inzwischen eine ganze Generation aufgewachsen ohne jeglichen Kontakt zum Virus oder zum Impfstoff. Und da liegt das Problem. Denn die Pockenimpfung schützte nicht nur gegen das Variola-Virus, sondern auch gegen Infektionen mit seinen viralen Cousins – einschließlich Affenpocken und Kuhpocken. Früher spielte das im Vergleich zur Hauptbedrohung durch die menschlichen Pocken keine wesentliche Rolle. Jetzt stellt sich aber die Frage: Könnten sich diese Erreger zu einer neuen Gefahr für die Menschheit entwickeln?

Es gibt durchaus Gründe zur Besorgnis. Denn Kuh- und Affenpocken kommen natürlicherweise auch in Nagetieren und anderen Lebewesen vor, so dass sie nie vollständig ausgerottet werden können. Die Anzahl dieser Erkrankungen beim Menschen ist in den letzten Jahren stetig gestiegen. Und beide Virenarten haben damit begonnen, neben ihren normalen Wirten auch andere Tiere zu infizieren, was die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sie sich auf neuen Wegen über den Globus verbreiten.

Quelle: Spektrum der Wissenschaft, Februar 2014